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Im Sommer 1977 war ich 14 Jahre alt und zum ersten Mal verfolgte ich ein Fußballspiel in einem mit Zuschauern gefüllten Stadion. Der führende Fußballverein meiner Heimatstadt SV Siegburg 04 spielte um den Aufstieg in die Gruppe Nord der damals noch zweigeteilten zweiten Bundesliga. Obwohl das entscheidende Spiel gegen den 1. FC Bocholt verloren wurde und der SSV weiterhin im Amateurlager bleiben musste, faszinierte mich die Atmosphäre. Noch nie hatte ich derartig viele Menschen auf einem Haufen gesehen (einige tausend, eine Zuschauerzahl die mir später nach den ersten Besuchen des Müngersdorfer Stadions in Köln als lächerlich gering erschien), die sich zudem ganz anders als bisher von Mitmenschen erlebt verhielten, ihre Begeisterung ebenso lautstark herausschrien wie Flüche oder Beleidigungen, pfiffen, rhythmisch klatschten und johlten. Besonders eine circa hundertköpfige Gruppe von Jugendlichen fiel durch Lautstärke und ihr Erscheinungsbild auf. Konfetti Fast jeder trug irgendein in den blau-weißen Vereinsfarben gehaltenes Kleidungsstück, vereinzelt wurde gleichfarbige Fahnen geschwenkt, die Mannschaft durch Sprechchöre und Gesänge angefeuert und Unmengen von langsam zu Boden schwebenden Papierschnipseln in die Luft geworfen. Sofort gesellte ich mich dazu und fühlte mich als ob ich etwas lange Gesuchtes gefunden hätte.
   Davor hatte ich Fußball höchstens im Fernsehen geschaut oder die Berichterstattung über Bundesligaspiele im Radio gehört. Ich hatte nie zu jenen Kindern gehört die schon sehr früh von ihren Vätern mit ins Stadion genommen wurden, denn bei meinen Eltern war Fußball völlig verpönt, spielte im täglichen Leben keinerlei Rolle. Erst knapp zwei Jahren zuvor hatte ich die mediale Berichterstattung für mich entdeckt und freudig festgestellt, dass Fußball auch ohne ihn selbst zu spielen sehr interessant war.
   Nach den Aufstiegsspielen gründete sich unter der Schirmherrschaft des Vereins ein Fan-Club dem ich sofort beitrat. Zu Hause sorgte dieser Schritt für einigen Ärger Wütend, denn meine Eltern reagierten mit wütender Ablehnung auf diese Entwicklung. Mir war das aber egal, denn die Welt der Fußballfans musste unbedingt Teil meines Lebens bleiben. Durch meinen Willen ins Stadion zu gehen und dem festen Vorsatz diesen Wunsch zu verwirklichen verloren meine Eltern jegliche Macht über mich, ignorierte ich ihre Anweisungen und Verbote.
   In der Folgezeit hörte ich samstags die Bundesligasendung im Radio und zerriss dabei stapelweise Zeitungen in kleine Schnipsel. Abends deponierte ich meine blauweiße Fahne samt den Papierschnipseltüten am vom Haus nicht einsichtbaren Gartentor, suchte diesen Sonntagsmittags unter einem Vorwand auf und verschwand in Richtung Stadion. Stets auf solche Art eingeleitet sah ich in der Verbandsligasaison 77/78 sämtliche Spiele des Teams, da der Verein sogar einen Reisebus für Auswärtsfahrten zur Verfügung stellte. Zu jener Zeit stellte das ein Novum dar, denn selbst in den oberen Spielklassen waren die Fans den Vereinen gelinde gesagt absolut egal und Dinge wie Fanprojekte oder Fanbetreuung wurden erst knapp ein Jahrzehnt später Bestandteile der Realität.
   Auf diesen Touren machte ich wie fast jeder männliche Mensch in diesem Alter erste Erfahrungen mit dem Genuss von alkoholischen Getränken, eine Bekanntschaft die mir sofort gefiel und die sich als richtungsweisend für mein späteres Leben herausstellen sollte. In elterlicher Obhut hätte ich diese in einer solchen Ausprägung bestimmt nicht gemacht. FeiernAuch genoss ich das Gefühl mit einer lautstarken, optisch auffälligen und großen Gruppe von jungen Menschen durch Ortschaften wie Düren, Jülich oder Baesweiler zu ziehen.
   Leider wurde am Ende der Saison die Aufstiegsrunde nicht erreicht, Siegburg 04 schloss die Saison mit einem undankbaren Platz im vorderen Mittelfeld ab. Auf ein weiteres Jahr in der Verbandsliga hatte ich keinen Bock, die Vorstellung auf der Suche nach prickelnden Erlebnissen durch ländliche Gebiete zu reisen gefiel mir nicht. Außerdem fand ich die sich wiederholenden Erlebnisse mit der Zeit recht langweilig, denn unsere Fangruppe bestand stets nur aus den gleichen drei oder vier Dutzend Leuten, und nur ein einziger der anderen Ligavereine verfügte ebenfalls über einen Anhang aus jugendlichen Fans. In der bisher nur im Radio verfolgten Bundesliga war es sicherlich interessanter. Folglich reiste ich im Spätsommer des Jahres 1978 zum ersten Saisonheimspiel meines Lieblingsvereins 1. FC Köln gegen den SV Darmstadt 98.
   Erstmals stand ich bei einem Bundesligaspiel in der Südkurve des Müngersdorfer Stadions. Besonders die Menge der Leute dort beeindruckte mich. Die Fangesänge waren viel lauter als die der wenigen Siegburger und die Schalparaden von hunderten von Fans imponierten mir. ( Labern Labermeia: Heutzutage ist es nichts Ungewöhnliches mehr wenn sogar Sitzplatzbesucher Schals in den Vereinsfarben tragen und sie zu bestimmten Anlässen mit ausgebreiteten Armen in die Höhe recken. Ende der Siebziger war ein solches Verhalten allerdings auf die jugendlichen Fans in den Fankurven beschränkt.) Schal Siegburg 04 und der Amateurfußball waren rasch vergessen und nur noch der 1. FC Köln und die Südkurve bestimmten mein Denken und Handeln.
   Obwohl die im Sommer 1978 kennengelernte Punkmusik immer wichtiger für mich wurde und ich mich immer öfter wie auf Fotos gesehene englische Punks kleidete, verzichtete ich an Spieltagen dennoch auf mein neues Punkoutfit, legte meine Fanklamotten an und fuhr ins Müngersdorfer Stadion. Derartig gekleidet besuchte ich alle Heimspiele der Saison 78/79 (Reisen zu Auswärtsspielen musste man selbst organisieren und für teure Zugfahrten fehlte mir das Geld). Ein einziges Mal kam es hierbei zu einem Interessenkonflikt zwischen Punk und Fußball, an einem Mittwochabend im Jahr 1979. Im Vergleich zu heute waren Punkkonzerte im Rheinland Ende der Siebziger ultraselten, konnte man froh sein wenn in einem Jahr überhaupt mal eines und irgendwo stattfand. Als an einem Mittwochabend gleichzeitig ein FC-Spiel und ein Punkkonzert der englischen Band "Charge" im Kölner Basement stattfinden sollte, wählte ich das Fußball-Spiel, eine Entscheidung die mir damals recht schwerfiel.
   In jener Zeit war der Besuch eines Fußballspiels für einen mit Vereinsschal und Fankutte ausstaffierten männlichen Jugendlichen der häufig allein unterwegs war mit dem ständigen Risiko eines gewalttätigen Angriffs verbunden. Hooligans als eine sich optisch deutlich von den normalen Fans unterscheidende Gruppe gab es noch nicht, konnten sich farbenfrohe Kuttenfans ebenso als friedliebende Biertrinker wie als gewaltgeile Schlägertypen entpuppen. Dazu kam noch eine Polizei die erschreckend ahnungslos war. Ich erinnere mich an ein Heimspiel gegen Schalke, als ich am Kölner Hauptbahnhof einen Zug nach Siegburg nehmen wollte, aber erst verhindern musste von der Polizei trotz meines rot-weißen Schals und der FC-Kutte in einen Fanzug nach Gelsenkirchen verfrachtet zu werden. Das wäre mir mit Sicherheit nicht gut bekommen. Leider überlebten meine Fanutensilien die Saison 78/79 nicht. Nach einem Abendspiel gegen Bielefeld verpasste ich mehrere Bahnen und kam erst sehr spät am Hauptbahnhof an. Dort sah ich mich plötzlich einer größeren Fangruppe aus Bielefeld gegenüber, die sich sofort auf mich stürzten und mir Schal und Kutte raubten. Danach konnte ich zwar körperlich unverletzt meinen Weg fortsetzen, schämte mich aber sehr wegen meiner Niederlage Schäm und des Verlustes meiner geliebten Fankutte. Trotzdem betonte ich "Glück im Unglück gehabt zu haben, denn wenn ich statt der Bielefelder Fans solchen aus Schalke oder Mönchengladbach begegnet wäre, wäre deren kinetische Argumentation deutlich folgenreicher gewesen und ich hätte die Nacht statt im eigenen Bett in einem Krankenhausbett verbringen müssen.