Die Aufbruchsstimmung unter dem rebellischen Teil der jungen Generation erhielt durch den rasanten Wuchs der bundesdeutschen Punkszene weitere Nahrung. In vielen Städten entstanden eigene Szenen und lokale Fanzines, von denen viele über sogenannte "Austauschabos" einen Großteil ihrer Auflage an Cover Tiefschlag 3-6 Punks im gesamten Bundesgebiet verkauften. Zum Beispiel verschickte ich fünf Exemplare eines neuen "Tiefschlag" an den Macher des "Aktuellen Mülleimer" in Stuttgart, der diese an die dortigen Punks verkaufte. Dafür erhielt ich fünf Stück seines Fanzines die ich wiederum in Bonn vertrieb. Ermöglicht wurde der Kontakt durch die Kolumne "Neuestes Deutschland" von "Alfred Hilsberg" in der monatlich erscheinenden "Sounds", in der die Adressen aktiver Punks veröffentlicht wurden. So diente für einige Monate eine Musikzeitschrift als eine Art von Kommunikationszentrale für Punks. Nachdem im Herbst des Jahres 1980 Punks und Teds gemeinsam im Hamburger Nobelstadtteil Pöseldorf randaliert hatten (Im Vergleich zu den sonstigen Krawallen jener Zeit waren die Auswirkungen sehr gering, aber die Täter umso auffälliger) setzte eine extreme Medienhetze gegen Punks ein, die nicht nur dafür sorgte, dass nun jeder Bürger wusste was "Punks" überhaupt sind, sondern auch den Punkszenen unbeabsichtigt einen noch größeren Zulauf bescherte, da viele protestwillige Jugendliche nun "Punk" mit "Rebellion" und "Hart" gleichsetzten.

1981 Lange ist es her:
Mit 18 im Plattenladen "But is it normal?"

    Angetrieben von unserer Punkeuphorie wollten Achmed und ich diese nicht nur in Form eines Fanzines sondern uns auch musikalisch ausdrücken. Also gründeten wir Ende des Jahres 1980 völlig unbelastet durch irgendein musikalischen Vorwissen oder Talent die Band "Achmed und die Arschkriecher", wobei wir die übliche Vorgehensweise bei Gründung einer Rockband bewusst übergingen. Normalerweise pflegten damals die Musiker einer herkömmlichen Rockband oft jahrelang übend im Proberaum zu verharren bevor sie es wagten ihre Musik bei einem ersten Auftritt der Öffentlichkeit zu präsentieren. Bei uns und bei Punk war dies anders. Bereits als "Achmed und die Arschkriecher" noch nichts anderes als eine vage Idee zweier achtzehnjähriger Punks waren konnten wir Dank glücklicher Umstände bereits einen ersten Auftritt verabreden, und das obwohl die Phantasieband noch keinen Gitarristen und keinen Bassisten hatte, geschweige denn einen Proberaum. Aber diese "kleinen Schwierigkeiten" konnten rasch gelöst werden. Ohne langes Suchen fanden wir in den Reihen der Punks am Berliner Platz zwei willige Mitmusiker, "Canal-Terror" ließen uns in ihrem Proberaum üben und so traten "Achmed und die Arschkriecher" Anfang 81 in einem Bonner Rockerclub namens "Nam Nam" vor über 400 Leuten auf. Dabei fungierte ich als Sänger, da ich keine Lust hatte lange ein Instrument zu lernen und Achmed spielte Schlagzeug. Obwohl er nur einen einzigen 4/4-Takt konnte und sich mit Sicherheit einige Monate zuvor noch nicht einmal im Traum hätte vorstellen können jemals Schlagzeuger in einer Band zu sein, machte es ihm sichtlich Spaß und er freute sich am Montag nach dem Auftritt seinen Namen in der Tageszeitung lesen zu können.
   Auch in Bonn wurden 1981 nacheinander einige Häuser besetzt, wurden aber mehr oder weniger schnell durch große Polizeiaufgebote wieder geräumt Stinkefinger, blieben nur wenige Tage oder Wochen in Besetzerhand und konnten dann wieder ihren stillen Schlaf des unberührten Zerfalls fortsetzen. Nach der Räumung eines wochenlang besetzten Hauses in der Bonner Innenstadt – das einige Zeit lang als Anlaufpunkt für lang- und kurzhaarige Protestler gedient hatte – kam es auch in der Bonner Innenstadt zu Krawallen, die aber recht glimpflich verliefen, da die Zahl der gewaltbereiten Jugendlichen nicht wie in Hamburg oder Berlin in die Hunderte ging, sich auf einige Dutzend beschränkte und lediglich einige Schaufensterscheiben großer Kaufhäuser eingeschlagen wurden. Auf alle Fälle war die Subkultur der aus einem Netz von hunderten besetzter Häuser in der ganzen Republik bestehenden Instandbesetzter ein wichtiger Faktor im täglichen Leben vieler Punks geworden, denn nicht selten waren diese Häuser Ausgangspunkte für kulturelle Aktivitäten wie Straßenfeste oder Konzerte oder dienten als Treffpunkt. Zudem nutzten diese auch viele Punks diese Infrastruktur und reisten in andere Städte um die dortigen Punks kennenzulernen, da man in besetzten Häusern oft übernachten konnte und dort leicht einen Schlafplatz fand. ( LabernLabermeia: So wie ein "normaler" Bürger sich bei Ankunft in einer fremden Stadt als erstes um einen Hotelplatz kümmert, Zeitungsausschnitt suchten wir Punks damals zwecks Pennplatz als erstes das örtliche besetzte Haus auf.) Durch den oft recht intensiven Kontakt zwischen Punks und Hausbesetzern veränderte sich auch das Denken vieler Punks. Teile der Punkszene übernahmen die politischen Ideen der Instandbesetzer und politisierten sich, die vorher unpolitische Punkbewegung bekam den Ruf "radikal links" und eine besonders extreme Fraktion innerhalb der Instandbesetzerbewegung zu sein.

Achmed und die Arschkriecher Achmed und die Arschkriecher:
Enthusiastischer Schreihals 1981

   So manchem seit mehreren Vorjahren in der Szene aktiven Punk gefiel diese Entwicklung nicht und diese Punks reduzierten ihre Aktivitäten, stellten sie gar ganz ein und zogen sich ins Private zurück. So auch Achmed, der nach unserem gemeinsamen Ausstieg aus der Band "Achmed und die Arschkriecher" auch die Mitarbeit am "Tiefschlag" ad acta legte. Mich hingegen umtrieb weiterhin der Wunsch Punkmusik zu machen und zusammen mit einigen Punks aus der Nachbarstadt Troisdorf gründete ich die Band "F.D.G.O.", agierte wieder als Sänger. In meiner Vorstellung sollten "F.D.G.O." ähnliche Musik wie die von mir geliebten "Crass" machen, was sich allerdings schnell als ein unerfüllbarer frommer Wunsch entpuppte, denn wir waren derartig musikalisch limitiert und talentfrei, dass sogar die britischen Musiker von "Crass" gegenüber "F.D.G.O." wie musikalische Virtuosen erschienen.
   Ende des Jahres 1981 hatte auch ich keine Lust mehr einen Großteil meiner Zeit für das Schreiben von Fanzinetexten zu verwenden und stellte das Erscheinen des "Tiefschlag" ein, nachdem ich sämtliche Tauschpartner durch einen Rundbrief von dieser Maßnahme in Kenntnis gesetzt hatte. Auch meine musikalischen Aktivitäten wurden einen abrupten Ende unterzogen, aber nicht aufgrund eines plötzlichen Ausstiegs, sondern weil in den Proberaum von "F.D.G.O." eingebrochen und die gesamte Anlage gestohlen wurde. Danach löste sich die Band rasch auf, da auch der größte Wunsch zu musizieren ohne Instrumente zum Scheitern verurteilt ist.



Auch das Folgejahr brachte einige Änderungen. Viele der Punks begeisterten sich für die aus Großbritannien stammende und nun auch in Mitteleuropa immer mehr Anhänger findende Oi!-Welle (eine im Gegensatz zu anderen Punkmusikstilen langsame und melodische Musik, die gleichzeitig ein Revival der Ende der sechziger Jahre in Großbritannien entstandenen Skinheadbewegung einleitete und einen Zusammenschluss von Punks & Skins propagierte, der in der Realität allerdings meist nur ein frommer Wunsch blieb). Oft reduzierte sich die Begeisterung für Oi! auf eine nur rein musikalische Vorliebe, hatte diese keinerlei Einfluss auf das Äußere der Punks und sie blieben weiter der Punkszene zugehörig, aber einige rasierten sich eine Glatze, tauschten ihre Leder- gegen eine Bomberjacke, bevorzugten nun ein skinheadtypisches, martialisches und Gewaltbereitschaft signalisierendes Outfit und betonten ihre Zugehörigkeit zur "Arbeiterklasse". Schnell sonderten sich die Skinheads ab, bildeten eine eigene Szene mit Treffpunkten. Auffällig viele der schon seit Jahren als Punks auftretenden Menschen schlossen sich den Skinheads an, oft Altpunks denen die seit ein oder zwei Jahren ständig wachsende Linkslastigkeit der Punkszene nicht gefiel und die entweder unpolitisch/konservativ oder gar rechtsradikal dachten. Nun gab es neben den Punks eine zweite Subkultur für unangepasste Jugendliche, die zudem wegen ihres Auftretens und des Outfits das Prädikat "hart" bekam. Ein Zusammengehen beider Jugendkulturen blieb eine Utopie, da die Skinheads begannen neben ihrer wirtschaftlichen Herkunft aus der "Arbeiterklasse" auch ihre nationale Herkunft als "Deutsche" glorifizierend zu propagieren. Rasch rückten die Skinheads auf den rechten Flügel der politischen Identität, und es kam zu ersten gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen "linken" Punks und "rechten" Skinheads. Allerdings waren diese ersten Kämpfe von möglichen Folgen her noch recht "harmlos", da viele Skinheads noch eine Punkvergangenheit hatten und manche ihrer Gegner persönlich kannten. In den späteren Jahren sollte sich dies allerdings ändern.
   Zudem war über die Wintermonate die politische Aufbruchsstimmung des letzten Jahres durch den Niedergang der Instandbesetzerbewegung verflogen. Wieder einmal hatten die staatlichen Gegenspieler eine für sie unangenehme Protestbewegung erfolgreich niedergerungen, diesmal durch eine Spaltung in kompromisswillige und radikale Seiten. Für viele Hausbesetzer waren nun Mietverträge das oberste Ziel ihres Agierens und sie hofften diese durch konformes Verhalten zu erlangen, engagierten sich höchstens nur noch in der zurückhaltend auftretenden Friedensbewegung. Die Reihen der Protestler lichteten sich, und deutlich weniger Menschen als noch im Vorjahr gingen mit nicht selten sich militant äußernden Forderungen nach grundlegenden gesellschaftlichen Änderungen auf die Straße. Nicht wenige der noch 1981 radikale Änderungen fordernden Jugendlichen verschwanden ansatzlos aus der öffentlichen Wahrnehmung und zogen sich ins Private zurück, wobei sogar einige durch verstärkten Drogenkonsum das Loch in ihrem Leben füllten und sich in biochemisch erzeugte Traumwelten flüchteten. Auch mir und vielen der übriggebliebenen Punks erging es nicht anders. Aber während "Drogen" der neue Lebensinhalt mancher Langhaariger wurden, waren es bei den Punks "Suff und Alkohol", Flasche und anstatt sich ins Private zurückzuziehen flüchteten wir in die Kneipe. Fast jegliches politische Engagement verschwand und für einige Jahre wurden regelmäßige Besuche des neuen Stammlokals "Treibhaus" Tätigkeitsschwerpunkt der Punks.
    Mich persönlich störte aber das Aufkommen der Skinheads und die Favorisierung von Oi!-Musik bei den Punks am meisten. An Skinheads sagte mir nur ihr Äußeres stellenweise zu, aber mit irgendwelchen nationalistischen Dingen konnte (und kann) ich nichts anfangen. Außerdem war mir die Oi!-Musik zu langsam, ich hörte lieber den weitaus schnelleren und später "Hardcore" genannten Ami-Punk aus den Staaten ( LabernLabermeia: "Tiefschlag"-Mitarbeiter S. reiste bereits Ende 1981 nach Boston in den USA und brachte von dort einen Stapel Platten mit, u.a. eine Testpressung eines Samplers namens "This is Boston not L.A.". Staun Wir Punks in Troisdorf, Siegburg oder Bonn kamen also einige Monate eher in den Genuss diese Schallplatte zu hören als mancher Punk aus Boston selbst.)



Obwohl die Euphorie der Anfangstage verschwunden war, Punk fast alle seine Inhalte verloren hatte und sich auf "andere Musik hören" und "anders als der Normalbürger aussehen" gepaart mit hemmungslosen Alkoholkonsum beschränkte war mein innerer Drang kreativ tätig zu werden ungebrochen. Zusammen mit drei anderen Bonner Punks die den schnellen Ami-Punk-Sound mochten gründete ich die Band "Bonn-Duell", wurde deren Sänger. Wir wollten Bonns schnellste Gruppe werden und